Überkopfkniebeugen (Overhead Squats), gehören definitiv in die Kategorie der seltenen und eher exotischen Belastungen. In dieser Artikelserie möchte ich euch Übungen vorstellen die ich selbst seit langem regelmäßig ausführe. Leider scheine ich damit einer Minderheit anzugehören, denn diese Übungen bauen nur die Wenigsten in ihr tägliches Krafttraining ein. Und das völlig zu unrecht, denn es gibt viel mit wenig Aufwand zu gewinnen, sei es eine bessere Technikroutine in der Kniebeuge, ein stabilerer Schultergürtel samt höherer Beweglichkeit oder mehr Muskelmasse für den Trapezmuskel. Lange Rede kurzer Sinn, ich möchte euch mit diesen kurzen Artikeln jeweils eine nicht unbedingt alltägliche Übung näher bringen.
Overhead Squat – die Überkopfkniebeuge
Die Reißkniebeuge, so die offizielle Bezeichnung im olympischen Gewichtheben, ist eine Übung die buchstäblich den ganzen Körper fordert. Das rührt vor allem auch daher, das die Langhantel (wahlweise natürlich auch Kurzhantel, Kettlebells oder andere geeignete Objekte) mit gestreckten Armen, quasi in der Endposition des olympischen Reißens oder auch des Überkopfdrückens mit weitem Griff über dem Kopf stabilisiert wird. Dies ist die Ausgangsposition für die nun folgende Kniebeuge. Die Kniebeuge unterscheidet sich bei Überkopf- oder Reißkniebeugen grundsätzlich nicht von der Technik bei normalen Kniebeugen (Backsquats).
Absolut wichtig ist hier allerdings, das die Arme gestreckt bleiben. Sprich es findet keine Bewegung im Ellenbogen statt und auch keine Abwärtsbewegung in den Schultergelenken. Jede Kompensationsbewegung in diese Richtung würde den Trainingseffekt der Übung zu nichte machen.
Overhead Squats lernen – die richtige Ausführung & Technik
Limitierend ist bei der Überkopfkniebeuge anfangs vor allem die Beweglichkeit im Schultergelenk, aber auch im Unterkörper. Arbeiten lässt sich hier gut über eine Progression der Kniebeugentiefe. Man kann mit geringem Gewicht (leere Hantelstange bis 30 kg, je nach Bedarf) starten und mit jeder Trainingseinheit versuchen mit korrekter Technik tiefer zu beugen. Die Eckpfleiler für richtige Ausführung & Technik sind:
- Arme bleiben gestreckt während der gesamten Wiederholung
- Wirbelsäule bleibt immer neutral, Einrunden des Rückens, vor allem des unteren Rückens muss unbedingt vermieden werden
- die Kniebeugebewegung muss hier über die Knie eingeleitet werden*
- Abwärtsbewegung bis die mögliche Tiefe erreicht ist
- am effektivsten ist hier natürlich „ass to the grass“, sprich volle Beugetiefe
*Anders als z.B. im Kraftdreikampf üblich, kann hier nicht hüftdominant gebeugt werden. Der Beugestil von olympischen Gewichthebern ist der einzige der hier zielführend ist. Gerade wenn man die Beuge über das zurückschieben der Hüfte einleitet und und somit wesentlich stärker über die hintere Muskelkette arbeitet, anstatt über die Beinstrecker. Denn dann ist der Bewegungsumfang so stark über die Schultern limitiert, dass kaum eine Parallelkniebeuge erreicht werden kann.
Und wozu sollte ich mir das antun?
Was kann ich nun also erwarten, wenn ich mich entscheide die Reißkniebeuge zu testen? Jede Menge. In Sachen Muskelaufbau sei natürlich gesagt, das es natürlich effektivere Übungen gibt, gerade für bereits gut trainierte Kniebeuger, um den Quadrizeps aufzubauen. Allerdings ist die Liste der Vorteile hier deutlich länger:
Erlernen einer „perfekten“ Beugetechnik
Wer richtig und in voller Tiefe Überkopfkniebeugen ausführen kann ist auch immer dazu in der Lage normale Kniebeugen korrekt und mit optimaler Technik auszuführen. Dadurch dass die Hantel über Kopf gehalten wird lässt die Reißkniebeuge kaum Ausgleichsbewegungen zu ohne den Heber maßgeblich aus dem Gleichgewicht zu bringen. So ist ein Techniktraining der Kniebeuge mit leichten Gewichten trotzdem optimal möglich.
Steigerung der Beweglichkeit im Schultergürtel, Hüfte und Sprunggelenken
Durch das Ausführen der Kniebeuge im olympischen Stil, also stark Beinstrecker-dominant, hoher Hantelablage und mit möglichst aufrechtem Oberkörper, wird die Fähigkeit die Knie nach vorn zubringen sehr stark geschult. Dies ist für viele Trainierende mit entsprechender Anatomie unumgänglich um tiefe Kniebeugen ausführen zu können.
Zeitgleich wird natürlich die Beweglichkeit der Hüfte und vor allem des Schultergürtels gefördert. Wer die Reißkniebeuge bis zum tiefsten Punkt richtig ausführen kann hat das optimale Maß an Beweglichkeit im Schultergürtel erreicht.
Muskelaufbau
Hypertrophie kann ich von Überkopfkniebeugen hauptsächlich im Bereich des oberen Trapezmuskels erwarten. Besonders gut hat folgende Kombination angeschlagen:
2-3 Runden, 2-3 Minuten Pause zwischen Runden
Overhead Squat 6-8 Wiederholungen ohne Pause
Farmers Walk 1-2 min. ohne Pause
Frontkniebeugen 4-6 Wiederholungen
Bei den Frontkniebeugen ist es besonders wichtig durch das Herunterziehen der Schulterblätter eine Dehnung im oberen Trapez zu erreichen.
Stabilität und Koordination
Wenn man sich jemanden anschaut der diese Übung ausführt wird schnell klar, hier muss alles stimmen. Körperspannung und Technik sind das A und O. Eine Last über einen längeren Zeitraum über Kopf zu halten schult außerdem, quasi „kostenlos“, die Kraft und Performance für Überkopf- bzw. Drückübungen wie Frontdrücken, aber auch Bankdrücken. Stabilität im Rumpf ist auch maßgebend, ansonsten man hier gnadenlos untergehen.
wann/wie oft soll ich Überkopfkniebeugen machen?
Einbauen kann man Reißkniebeugen überall. Ob als Teil des Aufwärmens, Schultertrainings oder Beintrainings. Auch ein leichter Tag oder ein an einem eigentlich trainingsfreien Tag. Alles ist möglich. Empfehlungen für Satz und Wiederholungsschemata gebe ich folgende:
Technikroutine in der Kniebeuge: leichte Gewichte, 5-10 Sätze mit 3 Wiederholungen
Ganzkörperkraft/Körperspannung: mittlere bis schwere Gewichte, 3-4 Sätze mit 4-6 Wiederholungen. Möglich ist hier auch mit einer „Rampentechnik“ zu arbeiten, sprich z.B. so:
30kg x 10 Wdh., 50kg x 6 Wdh., 60kg x 6 Wdh., 65kg x 5 Wdh., 70kg x 3 Wdh.
So aktiviert man das Nervensystem besser und bereitet den Körper entsprechend auf höhere Lasten vor bzw. sorgt sogar für mehr Leistungsfähigkeit.
Fazit
Überkopfkniebeugen sind eine super Übung um viele verschiedene Qualitäten auf einmal zu trainineren. Der für mich entscheidenste Vorteil überhaupt ist allerdings, das man lernt seinen Körper als Einheit zu benutzen. Dies hat für absolut jeden Vorteile, ob im Alltag, in verschiedenen (Kontakt)sportarten oder schlicht für das Krafttraining selbst. Reißkniebeugen sind durch das was sie sind sowas wie die Anti-Isolationsübung schlechthin. Ein schönes Langzeitziel wäre z.B. das eigene Körpergewicht auf der Langhantel für einige Wiederholungen zu schaffen.